Was ist der Unterschied zwischen ADS und ADHS?
12. August 2018Schluss mit Vorurteilen über ADHS! (Teil 1)
16. Juli 2021Sie hatte eine meterlange To do- Liste und einen ganzen Nachmittag Zeit. „Zuerst einen Kaffee aufsetzen, dann geht alles doch gleich leichter“, sagte sie sich. Mit der Tasse in der Hand checkte sie noch kurz die Emails. Schliesslich wollte sie später nicht davon abgelenkt werden.
Eigentlich war sie überhaupt nicht in Stimmung für den obersten Punkt ihrer langen Liste: Ein unangenehmes Telefonat, das sie seit Tagen aufgeschoben hatte. Doch es stand nun mal zuoberst, also los.
Zum Trost holte sie sich noch schnell ein Stück Schokolade aus der Küche. Während sie es verputzte, fiel ihr Blick auf den zweiten Punkt auf der Liste. Der war eigentlich gar nicht so schlimm. Den wollte sie sich aufheben für später.
Sie suchte in der Wohnung nach ihrem Telefon. Da und dort gleichzeitig noch etwas aufräumen, die Post anschauen. Sie warf herumliegende Socken in den Wäschekorb und begann die Blumen zu giessen.
Ach ja, das Telefon. Da lag es ja. Doch wo hatte sie schon wieder die Nummer aufgeschrieben?
Langsam begann sie sich aufzuregen. „Wie ich mich wieder aufführe! Eine erwachsene Frau, mitten im Leben, die einen solchen Tanz hinlegt, nur wegen eines einzigen Telefonats!“ Sie wurde richtig wütend darüber, dass bereits so viel Zeit mit Ablenkung verstrichen war, und die fiese Stimme im Kopf ranzte: „ Du bist immer noch der gleiche Angsthase! Schaffst es nicht, dich zu überwinden. Peinlich, einfach nur peinlich!“ Ihre Stimmung erreichte die Talsohle. Ein zweiter Kaffee würde ihr bestimmt gut tun…
Kommt dir diese Szenerie bekannt vor? Wir alle schieben manchmal Dinge auf bis zum Geht-nicht-mehr. Doch warum bringen wir uns in diese mühselige Lage?
Gründe für die Aufschieberitis
Typischerweise neigen wir zur Prokrastination oder Aufschieberitis, wenn wir
- noch ganz viel Zeit haben bis zur Deadline. Warum also schon jetzt anfangen?
- den Sinn der Aufgabe nicht wirklich erkennen.
- erwarten, dass wir der Aufgabe nicht gewachsen sind und sie uns bedrohlich erscheint.
- eher impulsiv handeln und schnell unserer momentanen Laune nachgeben.
Wenn uns eine Aufgabe zu gross erscheint, fällt es uns viel schwerer, sie anzupacken. Logisch – wer hat schon Lust, etwas anzufangen, bei dem man erwartet zu scheitern? Vor solch unangenehmen Erfahrungen möchte uns die Aufschieberitis bewahren. Manchmal schiesst sie dabei allerdings über’s Ziel hinaus.
Meistens geht dann auch gleich das Kino im Kopf los. Wir sagen uns innerlich: „Du schaffst das sowieso nicht!“, „Versager, du hast das noch nie zu Ende gebracht, weshalb sollte es gerade heute klappen?“, und ähnlich. Solche negativen Gedanken ziehen uns runter, nehmen uns Energie und Motivation.
Wenn die Steuererklärung erst in 3 Monaten eingereicht werden muss, ist es ja noch eine Weile bis dahin. Doch die Zeit eilt, und du sitzt am letzten Abend schwitzend und genervt da, weil du wieder einmal bis zum letzten Augenblick gewartet hast. Kennst du das? Die Selbstvorwürfe, guten Vorsätze, den Stress?
Vielleicht denkst du über dich, dass du sowieso am besten unter Zeitdruck arbeitest. Wenn das so ist, und du so effektiv-minimalistisch arbeiten kannst – warum regst du dich denn über die bereits verstrichene Zeit auf?
Manchmal ist eine Deadline noch so weit in der Zukunft, dass es einfach keinen Sinn macht, sofort anzufangen. Je länger es dauert, bis ein Ergebnis in Sicht ist, desto verlockender ist die Belohnung in absehbarer Zeit – und diese wird durch die vorübergehende Erleichterung durch die Prokrastination erreicht. Am Schluss wird jedoch die Zeit so knapp, dass du deine Aufgabe nicht mehr zufriedenstellend ausführen kannst.
Kurz und knackig gesagt also:
⇒ Je impulsiver wir sind, desto eher schieben wir auf.
⇒ Je wertloser die Aufgabe, desto eher schieben wir auf.
⇒ Je geringer die Erfolgserwartung, desto eher schieben wir auf.
⇒ Je mehr Zeit wir haben, desto eher schieben wir auf.
Tipps gegen das Aufschieben
Ins Tun kommst du endlich,
- wenn du die Aufgabe annimmst und ihr einen Wert und Sinn gibst.
- wenn du eine Aufgabe aufteilst in machbare, realistische Teilziele. Erklimme den Berg etappenweise.
- sobald du dir nicht zuviel auf einmal vornimmst. Freue dich über jeden (kleinen) erledigten Punkt. Vergleiche dich nicht mit anderen und was diese in der gleichen Zeit wohl schaffen würden. Erstens kannst du das nicht wirklich wissen, und zweitens ist jeder Mensch und seine Situation anders. Vergleiche schwächen uns meist mehr, als dass sie uns stärken. Und darum geht es: Sorge dafür, dass du in deine Kraft kommst. Sei freundlich mit dir selber und freue dich über DEINE Erfolge, egal wie gross diese sind.
- wenn dir einen Timer stellst, wie lange du dran bleiben wirst
- wenn du dir die Aufgabe verschönerst, indem du dir einen hübschen Platz dafür suchst, Musik laufen lässt, etwas Leckeres zum Knabbern bereit hältst.
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mit Hilfe von deinem Zeitmanagement. Hinterfrage es! Versuche den Arbeitsaufwand realistisch einzuschätzen und entsprechend zu planen. Um sich nicht zu verzetteln hilft es, die eigenen Prioritäten zu überdenken. Mache dir dennoch weniger Druck: „Ich muss“, „Ich sollte“, „Mach jetzt!“ treiben Aufschieber in die Flucht (mehr dazu in meinem Blog „Die Kraft der Sprache“). Belohne dich mit einem schönen, freien Abend, wenn die Arbeit frühzeitig abgeschlossen ist.
Was macht denn die Prokrastination so mühsam?
Aufschieben verschafft uns nur kurzfristig Erleichterung. Dafür schafft sie ganz viel inneren Stress. Selbstvorwürfe, Adrenalinschübe, Gefühle der Überforderung tragen wenig zu guter Lebensqualität bei.
Mit der Aufschieberitis wollen wir uns unbewusst vor unangenehmen Szenen schützen. Unser System meint es im Grunde gut mit uns. Doch es bewirkt einen Teufelskreis:
Aufgabe scheint zu gross/unnötig/unangenehm
> aufschieben > Erleichterung
> Aufgabe wird erdrückender
> aufschieben > Erleichterung
> Aufgabe wird noch erdrückender usw...
Was uns zu erdrücken droht, jagt unserem autonomen Nervensystem einen gehörigen Schrecken ein. Darauf folgt eine der Stressreaktionen KAMPF, FLUCHT oder ERSTARRUNG.
In der Folge beginnst du vielleicht
- mit dem Auftraggeber zu diskutieren und argumentieren über die Aufgabe
- flüchtest du dich ins World Wide Web und tauchst ab ins Googeln oder in Social Media
- blendest du deine Aufgabe aus und machst gar nichts mehr.
In welchem Muster erkennst du dich wieder?
Anfangen und umsetzen enden manchmal in einer regelrechten Lähmung oder andauernden Ablenkung.
Durch das permanente Denken „Ich sollte doch noch“ „Oder ich hätte doch noch sollen…“ kann ich die durch Aufschieben geschaffene „Freizeit“ auch nicht geniessen. Am Schluss habe ich weder vom Aufschieben etwas, noch freue ich mich über das Erreichen des Zieles, wenn es denn einmal geschafft ist. Ich schade mir durch die inneren, negativen Dialoge permanent und entziehe mir selber Kraft.
Teile deine Zeit ein in produktive Phasen (Arbeitszeit) und pure Freizeit (die du wirklich zur Entspannung nutzt!), und vermeide die unbefriedigenden Mischformen (Müllzeit).
Und jetzt- wie weiter mit deiner Aufschieberitis?
Versuche deine persönlichen Gründe für dein Aufschieben zu hinterfragen und zu verstehen. Sei ehrlich und dennoch wertschätzend mit dir selber. Überlege dir Strategien, wie du vom Aufschieber zum Macher wirst.
Halte diese Ideen schriftlich fest, zum Beispiel als Wenn- Dann- Plan: „Immer WENN ich den Eindruck habe, von einer Aufgabe überwältigt zu werden, DANN unterteile ich sie in kleine Teilschritte.“
Warte nicht auf den passenden Moment, etwas anzupacken. Schaffe dir den Moment selber.
Und ganz wichtig: Freunde dich an mit den fiesen Stimmen deines Kopf-Kinos! Es ist nicht nötig, sich selber zu beschimpfen. Baue dich auf und freue dich über alles, was du geschafft hast.
Ach ja, und à propos To do- Listen: Frage dich ruhig einmal, ob der erste Punkt wirklich als erster bearbeitet werden muss??? Oder ob es nicht angenehmer und motivierender wäre, sich etwas weniger „Sperriges“ von der Liste zum Anfang herauszupicken? Alles, was geschafft ist, gibt Energie zum Weitermachen.
In diesem Blog-Artikel habe ich viele Tipps und Anregungen aufgeführt, wie du mit der Aufschieberitis umgehen kannst. Selbstverständlich taugt nicht jeder Tipp für jeden Menschen. Sehr oft tragen wir die Lösungen für unsere Herausforderungen auch bereits in uns: Wenn du magst, überlege dir, wann und wie du schon einmal die Prokrastination in Schach gehalten hast! Was hat schon einmal funktioniert? Tu mehr davon! Was einmal geklappt hat, kann durchaus wieder funktionieren. Nicht immer muss das Rad neu erfunden werden.
Vertiefe dich ins Thema "Prokrastination" und finde deine Lösungen! Mein Kursmodul aus dem Video-Kurs "Zufrieden leben mit ADHS" unterstützt dich dabei. Du findest ihn auf meiner Onlinekurs-Seite. Abonniere gleich meinen monatlichen Newsletter für grosszügige Rabatte auf die Videos!
Welche Strategien hast du im Umgang mit Prokrastination? Was hast du ausprobiert und wie hast du es erlebt? Ich freue mich, wenn du uns darüber in einem Kommentar zu diesem Blog berichtest!