Sie hatte eine meterlange To do- Liste und einen ganzen Nachmittag Zeit. „Erstmal einen Kaffee aufsetzen, dann geht alles doch gleich leichter“, sagte sie sich. Mit der Tasse in der Hand checkte sie noch kurz die Emails, damit sie anschliessend nicht abgelenkt würde. Schliesslich war die Liste ziemlich lang, und deren Abarbeitung würde ihren vollen Einsatz abverlangen. Eigentlich war sie überhaupt nicht in Stimmung für den obersten Punkt: Ein unangenehmes Telefonat, das sie seit Tagen herausgeschoben hatte. Doch es war nun mal der oberste Punkt auf ihrer Liste, also los. Zum Trost holte sie sich noch schnell ein Stück Schokolade aus der Küche. Während sie es verputzte, fiel ihr Blick auf den zweiten Punkt auf der Liste. Der war eigentlich gar nicht so schlimm. Den wollte sie sich aufheben für später.
Sie suchte nach ihrem Telefon und musste sich eingestehen, dass sie die Suche in die Länge zog. Da und dort noch etwas aufräumen, die Post anschauen. Viel zu schnell hatte sie es gefunden. Doch wo hatte sie schon wieder die Nummer aufgeschrieben? Langsam begann sie sich aufzuregen. „Wie ich mich wieder aufführe! Eine erwachsene Frau, mitten im Leben, die einen solchen Tanz hinlegt, nur wegen eines einzigen Telefonats!“ Sie wurde richtig wütend darüber, dass bereits so viel Zeit mit Nichtstun verstrichen war, und die fiese Stimme im Kopf ranzte: „ Du bist immer noch der gleiche Angsthase! Schaffst es nicht, dich zu überwinden. Peinlich, einfach nur peinlich!“ Ihre Stimmung erreichte die Talsohle. Ein zweiter Kaffee würde ihr bestimmt gut tun…
Kommt Ihnen die Situation bekannt vor? Wir schieben manchmal auf bis zur Unerträglichkeit, ohne dass wir nachträglich nachvollziehen können, wie es soweit kommen konnte…
Was sind denn die Gründe, Sachen einfach nicht anzupacken?
⇒ Je impulsiver wir sind, desto eher schieben wir auf.
⇒ Je wertloser die Aufgabe, desto eher schieben wir auf.
⇒ Je geringer die Erfolgserwartung, desto eher schieben wir auf.
⇒ Je mehr Zeit wir haben, desto eher schieben wir auf.
> Wenn uns eine Aufgabe zu gross erscheint, fällt es uns viel schwerer, sie anzupacken. Logisch – wer hat schon Lust, etwas anzufangen, bei dem man erwartet zu scheitern? Vor solch unangenehmen Erfahrungen möchte uns die Aufschieberitis bewahren. Manchmal schiesst sie dabei allerdings über’s Ziel hinaus.
Meistens geht dann auch gleich das Kino im Kopf los. Wir sagen uns innerlich: „Du schaffst das sowieso nicht!“, „Versager, du hast das noch nie zu Ende gebracht, weshalb sollte es gerade heute klappen?“, und ähnlich. Solche negativen Gedanken ziehen uns runter, nehmen uns Energie und Motivation.
> Die Steuererklärung muss erst in 4 Monaten eingereicht werden. Dennoch sitzen Sie am letzten Abend schwitzend und genervt da, weil Sie wieder einmal bis zum letzten Augenblick gewartet haben? Oder denken Sie über sich, dass Sie am besten unter Zeitdruck arbeiten? Wenn das so ist, und Sie so effektiv-minimalistisch arbeiten können – warum regen Sie sich denn über die bereits verstrichene Zeit auf?
Manchmal ist eine Deadline noch so weit in der Zukunft, dass es einfach keinen Sinn macht, sofort anzufangen. Je länger es dauert, bis ein Ergebnis in Sicht ist, desto verlockender ist die Belohnung in absehbarer Zeit – und diese wird durch die vorübergehende Erleichterung durch die Prokrastination erreicht. Am Schluss wird jedoch die Zeit so knapp, dass Sie Ihre Aufgabe nicht mehr zufriedenstellend ausführen können.
Was kann ich tun?
> Teilen Sie eine Aufgabe auf in machbare, realistische Teilziele. Erklimmen Sie den Berg etappenweise. Nehmen Sie sich nicht zuviel auf einmal vor und freuen Sie sich über jeden (kleinen) erledigten Punkt. Vergleichen Sie sich nicht mit anderen und was diese in der gleichen Zeit wohl schaffen würden. Erstens können Sie das nicht wirklich wissen, und zweitens ist jeder Mensch und seine Situation anders. Vergleiche schwächen Sie meist mehr, als dass sie Sie stärken. Und darum geht es. Sorgen Sie dafür, dass Sie in Ihre Kraft kommen. Seien Sie freundlich mit sich selber und freuen Sie sich über IHRE Erfolge, egal wie gross diese sind.
> Hinterfragen Sie Ihr Zeitmanagement. Versuchen Sie den Arbeitsaufwand realistisch einzuschätzen und dementsprechend einzuplanen. Um sich nicht zu verzetteln hilft es, die eigenen Prioritäten zu überdenken. Machen Sie dennoch weniger Druck: „Ich muss“, „Ich sollte“, „Mach jetzt!“ treiben Aufschieber in die Flucht (mehr dazu in meinem Blog „Die Kraft der Sprache“). Belohnen Sie sich mit einem schönen, freien Abend, wenn die Arbeit frühzeitig abgeschlossen ist.
Aufschieben verschafft uns nur kurzfristig Erleichterung. Dafür schafft sie ganz viel inneren Stress. Selbstvorwürfe, Adrenalinschübe, Gefühle der Überforderung tragen wenig zu guter Lebensqualität bei. Durch das permanente Denken „Ich sollte doch noch“ „Oder ich hätte doch noch sollen…“ kann ich die durch Aufschieben geschaffene „Freizeit“ auch nicht geniessen. Am Schluss habe ich weder vom Aufschieben etwas, noch freue ich mich über das Erreichen des Zieles, wenn es denn einmal erreicht ist. Ich schade mir durch die inneren, negativen Dialoge permanent und entziehe mir selber Kraft.
Teilen Sie ihre Zeit ein in produktive Phasen (Arbeitszeit) und pure Freizeit (die Sie wirklich zur Entspannung nutzen!), und vermeiden Sie die unbefriedigenden Mischformen (Müllzeit).
Versuchen Sie die Gründe für Ihr Aufschieben zu hinterfragen und zu verstehen. Seien Sie ehrlich und dennoch wertschätzend mit sich selber. Überlegen Sie sich Strategien, wie sie vom Aufschieber zum Macher werden. Halten Sie diese schriftlich fest, zum Beispiel als Wenn- Dann- Plan: „Immer WENN ich den Eindruck habe, von einer Aufgabe überwältigt zu werden, DANN unterteile ich sie in kleine Teilschritte.“
Warten Sie nicht auf den passenden Moment, etwas anzupacken. Schaffen Sie sich den Moment selber. Und ganz wichtig: Freunden Sie sich an mit den fiesen Stimmen Ihres Kopf-Kinos! Es ist nicht nötig, sich selber zu beschimpfen. Bauen Sie sich auf und freuen Sie sich über alles, was Sie geschafft haben.
Ach ja, und à propos To do- Listen: Fragen Sie sich ruhig einmal, ob der erste Punkt wirklich als erster bearbeitet werden muss. Oder ob es nicht angenehmer und motivierender wäre, sich etwas weniger „Sperriges“ von der Liste zum Anfang herauszupicken. Alles, was geschafft ist, gibt Energie zum weitermachen.
In diesem Blog-Artikel habe ich viele Tipps und Anregungen aufgeführt, wie Sie mit Ihrer Aufschieberitis umgehen können. Selbstverständlich taugt nicht jeder Tipp für jeden Menschen. Sehr oft tragen wir die Lösungen für unsere Herausforderungen auch bereits in uns: Wenn Sie mögen, überlegen Sie sich, wann und wie Sie einmal die Prokrastination in Schach hielten? Was hat schon einmal funktioniert? Tun Sie mehr davon! Was einmal geklappt hat, kann durchaus weiterhin funktionieren. Nicht immer muss das Rad neu erfunden werden.
Welche Strategien haben Sie im Umgang mit Aufschieberitis? Was haben Sie ausprobiert und wie haben Sie es erlebt? Ich freue mich, wenn Sie darüber einen Kommentar zu diesem Blog schreiben!